Lösungsneutralität: Wenn die Beraterin nichts weiß
- Julia
- 10. Nov. 2024
- 2 Min. Lesezeit
Als systemische Beraterin habe ich gelernt, dass es manchmal besser ist, keine Lösung parat zu haben. Klingt paradox? Willkommen in der Welt der Lösungsneutralität und der Systemtheorie!
Eine Lektion in Zurückhaltung
Erst kürzlich hatte ich eine Klientin bei mir. Sie war sichtlich frustriert und hatte einen ziemlich klaren Auftrag an mich: "Ich kann einfach nicht aufhören zu prokrastinieren! Haben Sie nicht einen Trick, wie ich endlich produktiv werde?"
Wir als BeraterInnen lieben klare Aufträge und trotzdem konnte ich diesen so in der Form nicht übernehmen. Wie gerne hätte ich ihr sofort meine To-Do-Listen-Technik oder meine Lieblings-Produktivitäts-App empfohlen!
Stattdessen fragte ich: "Was glauben Sie denn, warum Sie prokrastinieren?"
Sherlock Holmes oder Colombo in Aktion
Und so begann unsere gemeinsame Detektivarbeit. Wir gruben tiefer und tiefer, und siehe da: Die Klientin entdeckte, dass ihre Prokrastination eigentlich ein Schutzschild war. Ein Schutzschild vor der Angst, nicht perfekt zu sein. Wir hatten einen ihrer inneren Antreiber finden und daran arbeiten können.
Hätte ich ihr gleich meine "brillanten" Lösungen präsentiert, wären wir nie zu diesem Aha-Moment gekommen.
Lösungsneutralität bedeutet eben, dem Klienten den Raum zu geben, seine eigenen Antworten zu finden.
Es ist nicht immer leicht, die Expertenrolle beiseite zu legen. Manchmal fühle ich mich wie ein Zauberer, der seinen besten Trick nicht vorführen darf. Aber die Magie passiert oft genau dann, wenn wir als Berater den Mut haben, nicht zu wissen.
Lösungsneutralität bedeutet hierbei aber nicht, dass wir als Berater nutzlos sind. Im Gegenteil! Wir sind wie Bergführer, die zwar den Weg kennen, aber den Wanderer selbst entscheiden lassen, welchen Pfad er einschlägt.
Es ist ein ständiger Balanceakt:
Nicht zu viel vorgeben
Aber auch nicht zu wenig Unterstützung bieten
Die richtigen Fragen stellen
Und dabei immer das Ziel im Auge behalten
Am Ende der Sitzung freute sich meine Klientin. Nicht weil ich ihr DEN Trick gegen Prokrastination verraten hatte, sondern weil sie selbst verstanden hatte, was hinter ihrem Verhalten steckte. Und all dies kam allein aus meiner Klientin - sie ist die Expertin für ihre Wirklichkeit.
Lösungsneutralität mag auf den ersten Blick kontraintuitiv erscheinen. Aber oft ist es genau diese Zurückhaltung, die unseren Klienten den Raum gibt, über sich hinauszuwachsen.
Und wenn ich das nächste Mal versucht bin, mit Ratschlägen um mich zu werfen, erinnere ich mich an meine Klientin und daran, dass die besten Lösungen oft die sind, die wir selbst entdecken.
Also, liebe Mitleser: Das nächste Mal, wenn euch jemand um Rat fragt, versucht es doch mal mit einem neutralen "Was denkst du denn darüber?"
Ihr könntet überrascht sein, welche Weisheit ihr damit zutage fördert!
Eure Julia




Kommentare